Der Grandseigneur der Sterngucker

von Stefan Seip

PORTRÄT John Dobson live »Mit einer so kleinen Optik sieht man keine fernen Galaxien.«

Was wäre die Amateurastronomie ohne die beliebten Dobsonteleskope?
Ihr Erfinder und Namensgeber John Dobson lebt in
Kalifornien und feiert seinen 90. Geburtstag.


Ohne Übertreibung darf man behaupten, dass John Dobson die Amateurastronomie revolutioniert hat – jedenfalls was die Geräte für visuelle Beobachtungen betrifft.

Sein Streben nach einer immer größeren Teleskopöffnung wurde in den 1970er Jahren durch die gabelmontierten Schmidt-Cassegrain-Teleskope angeregt. Da dieser Fernrohrtyp jedoch mit zunehmender Öffnung schwer und unhandlich wird, war die Rückkehr zum einfach aufgebauten Newton-Spiegelteleskop der einzig realistische Weg, um seinen Wunsch nach schier unbegrenzter Öffnung zu verwirklichen. Allerdings kamen seine neuen Teleskope nicht mit einer parallaktischen, motorgetriebenen Montierung daher, sondern auf einer einfachen Holzbox, der so genannten Rockerbox, die man von Hand in jede Richtung bewegen kann.

Anfang dieses Jahres traf ich John Dobson in den Geschäftsräumen von »Starizona«, einem Teleskophändler in Tucson, Arizona. Als ich den Laden betrete, ist er bereits von etlichen Kundenumringt. Manche holen sogar schnell ihr Teleskop von zu Hause, um es von ihm mit einem Goldstift signieren zu lassen.

Geduldig kommt er allen Wünschen nach, sogar dann, wenn es sich nicht um Dobsonteleskope handelt. Die Begrüßung erledigt er in Deutsch mit »Guten Tag«, um gleich danach das Lied »Muss i denn zum Städtele hinaus« anzustimmen. Nicht nur von mir erntet er dafür Applaus. Verblüffend, wie es ihm mit Leichtigkeit gelingt, für eine lockere Gesprächsatmosphäre zu sorgen. Unsere anschließende Unterhaltung findet dann der Einfachheit halber aber in Englisch statt.

Von der Rüstungsindustrie ins Kloster
Vor mir sitzt ein sportlich wirkender Mann, dem man die Erfahrung eines langen Lebens, nicht aber sein hohes Alter ansieht. Fast jugendlich wirkt er durch seine hagere, etwas drahtige Gestalt und seine flinken Bewegungen. Die langen, weißen Haare sind hinten zu einem Zopf zusammengebunden. Er trägt ein legeres Hemd, eine lange Hose und modische Turnschuhe. Als Sohn eines Hochschullehrers für Zoologie und einer Musikerin kommt John Dobson am 14. September 1915 in Peking (China) zur Welt. Zwölf Jahre später kehrt die Familie nach San Francisco zurück. Nach seinem Schulabschluss beginnt Dobson ein Studium der Chemie an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Er schließt es 1943 erfolgreich ab. Es folgt eine Tätigkeit in der Rüstungsindustrie, wo er auch an der Vorbereitung für die Atombombenversuche beteiligt ist. Doch schon 1944 setzt er einen Schlussstrich und tritt in das hinduistische Vedanta-Kloster des Ramakrishna- Mönchsordens ein.

1956 baut er sein erstes Teleskop. Damals noch kein »Dobson«, sondern ein kleiner Refraktor, den er aus den Teilen eines Zeiss-Fernglases zusammensetzt. Damit sieht er zum ersten Mal die Ringe des Saturns. Und weil der Besitz von Geld den Mönchen des Klosters nicht gestattet ist, muss als Baumaterial für seine nächsten Teleskope Schrott herhalten. Zunächst entsteht ein Spiegelteleskop mit fünf Zoll, danach eines mit zwölf Zoll Öffnung. Selbstverständlich alles vollständig in Eigenleistung: Sogar die Spiegel schleift der Chemiker selbst. Die Bauart des Geräts entspricht schon weit gehend der heutiger »Dobsonteleskope«. Das Zwölf-Zoll-Fernrohr richtet der Mönch Dobson auf den abnehmenden Halbmond und findet, dass jeder Mensch diesen Anblick einmal im Leben genießen können sollte. Dieser Wunsch lässt ihn fortan nicht mehr los. Nach dem Umzug in das Vedanta-Kloster in Sacramento bringen ihn seine astronomischen Interessen immer mehr mit den Regeln des Ordens in Konflikt, was 1967 schließlich seinen Ausschluss nach sich zieht. Völlig mittellos beginnt er ein neues Leben in San Francisco, wo er zusammen mit zwei jüngeren Mitstreitern den Verein »Sidewalk Astronomers« gründet. Noch heute ist es das erklärte Ziel dieser Gruppe, den Menschen die Gelegenheit zu bieten, durch ein größeres Teleskop zu schauen und ihnen die Schönheit des Weltalls nahe zu bringen. 1970 baut er ein Teleskop mit 24 Zoll Öffnung – für einen Amateur und die damalige Zeit rekordverdächtig! John Dobson ist nach wie vor ein aktives und das zweifellos berühmteste Vereinsmitglied. Erst kürzlich ist ein Kinofilm angelaufen, der dokumentarisch sein Leben und Wirken zeigt.

Teleskopbauseminare in Sibirien Hier im »Starizona« wird sein Redefluss aber jäh durch einen Amateurastronomen, der sich Dobson mit einem Fotoalbum in der Hand genähert hat, unterbrochen. Prall gefüllt präsentiert es Bilder, die chronologisch den Fortschritt seines Teleskop- Selbstbauprojekts dokumentieren. Erwartungsvoll, aber auch angespannt schaut der Erbauer in das Gesicht des Experten, als dieser mit geschultem Blick Bild für Bild unter die Lupe nimmt. Endlich nickt er zufrieden, findet aber dann doch noch eine Kleinigkeit am Okularauszug, bei der er zu einer baulichen Veränderung rät. Sichtlich erleichtert bedankt sich der stolze Tüftler und bittet Dobson anschließend, eine Seite seines Albums zu signieren.

 

»Bitte lasst die Menschen durch Teleskope schauen.« John Dobson überprüft die Justierung eines Sechzig-Zentimeter-Spiegelteleskops vor einer Starparty im Death Valley National Park (Bild rechts).

Der alte Herr lacht verschmitzt und merkt an, dass er mit seiner Unterschrift aber keinesfalls den falsch konstruierten Okularauszug absegnen will.

Doch natürlich ist diese Äußerung, wie viele andere auch, nicht ganz ernst gemeint und so unterschreibt er ohne Umschweife. Rasch bildet sich eine Menschentraube um Dobson, die alles Mögliche von ihm signiert haben möchte: Bücher, Kalender, Fotos, Kleidung, Teleskope und Zubehör. Mit der Zeit wird seine Schrift ein bisschen zittrig und er schlägt vor, jemanden zu engagieren, der mit und in seinem Namen unterschreibt. Das gipfelt schließlich in der Idee, einen Stempel mit seiner Unterschrift anfertigen zu lassen.

Trotzdem setzt er die Autogrammstunde fort, bis auch der letzte Fan zufrieden von dannen zieht. Die anschließende Ruhepause genießt er sichtlich, wobei er plötzlich bemerkt, dass ich ihn beobachte. »Eigentlich bin ich zu alt, um damit mein Geld zu verdienen«, murmelte er mit lausbubenhaftem Grinsen. Auf meine Frage, in welchem Bereich der Amateurastronomie er sich derzeit engagiere, antwortet er: »Seit 1968 mache ich immer das Gleiche: Ich gebe Unterricht im Teleskop-Selbstbau und der Herstellung von Spiegeln, betreibe Gehsteig-Astronomie und reise in Nationalparks und an Orte mit dunklem Himmel.«

John Dobson ist nicht nur in seiner Heimat beliebt: Zwar finden die meisten seiner Seminare in Kalifornien und in Oregon statt, manche aber auch in England, Chile oder gar in Sibirien. Auf regionalen und überregionalen Teleskoptreffen ist er regelmäßig zu Gast, etwa bei der anstehenden »Grand Canyon Star Party«, auf die er sich sehr freut, denn dort hat er in der Vergangenheit schon Nächte mit besonders guter Luftruhe (Seeing) erlebt. Ich will wissen, welches Teleskop er dorthin mitnehmen wird.

((Bild) Neunzig Jahre und kein bisschen leise Der begnadete Geschichtenerzähler gibt seinen reichen Erfahrungsschatz gerne weiter.)

Tipps für den perfekten Standort
John Dobson, der in seinem Leben nie Wert auf persönlichen Besitz gelegt hat, meint, dass er nicht mehr viel geschweige denn schweres Gepäck tragen kann. Allerdings habe er Helfer, die seinen Zwölf-Zöller transportieren. Manchmal verzichtet er auch darauf, ein eigenes Teleskop mitzunehmen. Den Grund hierfür liefert er gleich nach: »Auf diesen Treffen sind immer so viele gute Teleskope von acht bis dreißig Zoll Öffnung vorhanden, durch die ich sowieso durchschauen soll.«

Außer beim Entwurf und Bau von Teleskopen berät er Amateurastronomen heute vor allem beim richtigen Einsatz der Instrumente. Das betrifft in erster Linie die Wahl des passenden Standorts mit bestmöglichem Seeing.

Seine jahrzehntelange Beobachtungspraxis hat ihn gelehrt, welche Luftströmungen und -verwirbelungen wo und wann auftreten und welche Bedingungen günstig gewesen sind. »Für Dobsonteleskope mit großer Öffnung ist das ganz besonders wichtig«, betont er. Neben der Wahl eines perfekten Standorts sollte die Konstruktion des Fernrohrs eine konstante Luftströmung im Tubus und damit eine schnelle Auskühlung des Spiegels ermöglichen. »Wenn alle Rahmenbedingungen erfüllt sind«, so fährt er fort, »dann beschert ein Dobsonteleskop einem unvergessliche Momente, bei einem sehr moderaten Preis.«

Ich frage ihn, ob er denn stolz darauf sei, dass eine heute so beliebte Teleskopklasse seinen Namen trage. Sofort winkt er ab. »Es geht doch nicht darum, wie diese Teleskope heißen«, verbessert er mich bescheiden. »Vielmehr ist es wichtig, ihre Vorteile aufzuzeigen, ihre Überlegenheit
bei der visuellen Beobachtung gegenüber den ›Schmidt-Cassegrainies, Maksutow- Cassegrainies, Schmidt-Newtonies‹ «, wobei er die Endsilben »ies« jeweils sehr lang gezogen und mit fast schmerzhaft verzerrtem Gesicht ausspricht. Damit lässt er auch keinen Zweifel daran, was er von diesen Systemen hält.

Aus nichts kann nichts entstehen
Im Lauf seines Lebens ist John Dobson durch theoretische Überlegungen und auf Grund seiner Beobachtungen zu einem eigenen »Weltbild« gelangt.
Es stimmt nicht mit den derzeit von der Wissenschaft favorisierten kosmologischen Theorien überein, wobei die größte Diskrepanz ist, dass Dobson nicht an einen Urknall glaubt. »Aus nichts kann nichts entstehen«, lautet sein Kredo. Die Astrophysiker hätten neue Gesetze eingeführt, nur um das Urknallmodell untermauern zu können, meint er. Bedenklich sei auch, dass die Lehrmeinung vom Urknall weit gehend unkritisch an
die Studenten weitergegeben werde. Dobson glaubt an ein eigenes, von ihm entwickeltes Modell des Kosmos, das – so stellt er es dar – auf der Relativitätstheorie Einsteins und der Unschärferelation Heisenbergs basiere.

Sein Ansatz geht von einem ständig expandierenden Weltall aus, in dem ein »Recycling« der Atome stattfinden soll. In Fachkreisen stößt er mit seiner Theorie jedoch auf Widerstand und Ablehnung. Kritiker werfen ihm vor, er interpretiere die Relativitätstheorie und die moderne Quantenphysik nicht richtig. Tatsächlich benutzt Dobson kaum mathematische oder physikalische Herleitungen sondern bemüht seine scharfsinnige, jedoch überraschend simple Logik und seine Eloquenz.

Und schon wieder ist »Autogrammstunde «: Drei Dobsonteleskope, ein orangefarbenes Schmidt-Cassegrain-Teleskop und zwei Bücher warten darauf, mit einem Goldstift signiert zu werden. Danach wendet er sich wieder mir zu. Augen und Hände, beides für ihn und seinen Lebensweg sehr wichtige Werkzeuge, kommen dabei besonders ausdrucksstark zum Einsatz. John Dobson ist ein begnadeter Geschichtenerzähler: Er kann mitreißen und motivieren. Seine positive, lebensbejahende Einstellung und sein Humor überwältigen mich. Gleichzeitig ist er stets um ehrliche und direkte Antworten bemüht, ohne Dinge schönzureden. Er liebt es, Menschen zum Nachdenken anzuregen, und schreckt dabei auch vor provokanten, barschen Antworten nicht zurück. Doch wer sollte es ihm angesichts seines fortgeschrittenen Alters und seines Lebenswerks wirklich übel nehmen, wenn er hin und wieder ein bisschen kauzig und schroff wird? Das muss auch ein begeisterter Sterngucker erfahren, der den Laden betritt und mittels einer Skizze verdeutlicht, an welcher Felsklippe er sein Teleskop zu Beobachtungszwecken positioniert, wobei meistens wabernde Luft das Bild verdirbt. Was man da tun könne, so seine Frage an John Dobson. Dessen Antwort lautete: »Guter Mann, ich habe solche Probleme nicht. Ich bin nicht so doof, mein Teleskop an einem solchen Ort aufzustellen.«

Stefan Seip traf John Dobson Anfang dieses Jahres bei einem Aufenthalt in den USA und war von dessen Persönlichkeit sofort beeindruckt.

 

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